„MEIN“ ARCTIC CIRCLE 2019 ALS CREWMITGLIED
„MEIN“ ARCTIC CIRCLE 2019 ALS CREWMITGLIED
„MEIN“ ARCTIC CIRCLE 2019 ALS CREWMITGLIED
Möchte ich wirklich meine Semesterferien in der Kälte verbringen ?
Als Nikolas und Peter Hauke und mich fragte, ob wir in Spitzbergen mitsegeln wollten, waren wir beide ganz aus dem Häuschen. Das klang nach einem Abenteuer! Dann allerdings ein einschränkender Gedanke: Möchte ich wirklich meine einzigen zwei Sommerferienwochen in der Kälte, möglicherweise in dauerhaftem Nebel und Schnee verbringen? Schließlich liebe ich Sommer, Sonne und Wärme.
Aber ja – so eine besondere Möglichkeit, so eine überraschende, einmalige Einladung konnten wir uns definitiv nicht entgehen lassen. Schnell noch einige Unikurse abgesagt, die Merinowollwäsche besorgt (sie stellte sich später als unglaublich praktisch heraus, wir liefen fast nur darin herum) und Gummistiefel geshoppt, dann war es auch schon so weit.
Dies soll kein chronologischer Bericht unserer Reise werden, den haben andere schon geliefert. Ich möchte stattdessen versuchen, die Stimmung einzufangen, mit der Spitzbergen und ganz Svalbard mich verzaubert haben und beschreiben, wie ich das Leben an Bord in unserer zusammengewürfelten kleinen Truppe empfunden habe.
Natur ohne Ende und Schlaf so zwischendurch
Ich hatte versucht, möglichst wenig Vorstellungen und Erwartungen im Vorhinein aufzubauen. Das spontane Eintauchen in eine außergewöhnliche, fremde Umgebung hat einen ganz besonderen, erholsamen Reiz. Mich vor Ort einfach von der Atmosphäre und Stimmung überraschen und einnehmen zu lassen, so reise ich am allerliebsten. Und dank der hervorragenden Vorbereitung von Peter, Nikolas und Martina konnten wir tatsächlich genau so in den Urlaub starten.
Schon bei unserer Landung in Longyearbyen merkten wir, wie fantastisch anders die Landschaft Spitzbergens ist. Berge, die von Gletschern und Schnee bedeckt sind, dazwischen weite, karge Flächen, die einem den Eindruck vermitteln, man sei auf dem Mond gelandet. Kein Baum, kein Strauch, keine Zivilisation. Nur die kleine Siedlung Longyearbyen, in Mitten der Einsamkeit und Schönheit.
Zunächst einmal gab es eine sehr gründliche Einweisung an Bord. Ziemlich überrascht wurde ich dann von Peters freundlich mahnenden Ansage: „Dies ist die Wacheinteilung! Seht zu, dass ihr genug Schlaf zwischendurch bekommt, ihr werdet ihn nötig haben.“ – Sowas kannte ich von meinen vorherigen Segeltouren nicht. Man ankerte zur Nacht und segelte am Tag. Klar, daran hatte sich ja auch jetzt nichts geändert. Wir segelten tagsüber. Nur dauert der helle „Tag“ im Sommer auf Spitzbergen 24 Stunden, Nacht ist nicht, das hätte ich mir auch denken können.
Bereits in den ersten Tagen stellte ich fest, wie sehr ich an meine sieben Stunden Schlaf gewöhnt war, aber auch, wie praktisch es doch ist, auch um drei Uhr nachts bei strahlendem Sonnenschein den Walrossen beim sich räkeln, kämpfen und plantschen zuschauen zu können.
Und auch wenn man sich vielleicht das ein oder andere Mal fragte, ob man nicht doch lieber liegenblieb, wenn man um fünf Uhr morgens von fröhlichen, putzmunteren Mitseglern geweckt wurde, um einen Landgang zu machen… Am Ende hat sich das Aufstehen immer gelohnt und ich habe beinahe das Gefühl, dass sich die Verwirrtheit der inneren Uhr positiv auf die Wahrnehmung der Natur ausgewirkt hat.
Schnell verloren wir den Bezug zur realen Zeit, lebten viel eher im Hier und Jetzt. Eine innere Ruhe kann sich offenbar viel besser einstellen, wenn man einfach nach Bedürfnis, Lust und Laune mal wach ist und mal schläft, sich weder an Essens- noch an Schlafenszeiten hält. So konnte ich mich vollkommen entspannt auf die Freiheit des Meeres, die raue Beschaffenheit der Berge, die Weite der Landschaft und die karge Einsamkeit des Landes einlassen. Damit kein falscher Eindruck aufkommt, natürlich haben wir trotzdem alle Hauptmahlzeiten gemeinsam im großen Salon oder auch in der Sonne im Cockpit eingenommen. Und fast immer waren das mit sehr viel Liebe zubereitete Mehrgängemenüs. Gut wenn man Hobbyköche an Bord hat…
Landschaft und Eisbären – was wird in 50 Jahren sein ?
Durch diese grandiose Umgebung fahren zu dürfen war wirklich einmalig. Die Vorstellung, hinter diesen Bergen nur noch mehr Berge und unbewohnte Gegenden vorzufinden, war unbeschreiblich wohltuend. Gegenden, die möglicherweise noch nie von einem Menschen betreten wurden. Ich hatte es vorher gar nicht bewusst wahrgenommen, aber hier in der Einsamkeit und Stille merkte ich, wie gut es mir tat, mal aus der Stadt und Zivilisation herauszukommen.
Nahezu an jeder Ecke konnte man kleine Besonderheiten der Natur entdecken und sich an ihnen erfreuen. Immer wieder rückte uns die Besonderheit dieser Region ins Bewusstsein. Zeit und die Dimensionen sind anders hier oben. Winzige Pflanzen klammern sich in die karge Landschaft und kämpfen ums Leben, im Gegensatz dazu ragen mächtige Berge und Gletscher ringsum. Zerfallsprozesse dauern ewig. Wir finden zahlreiche Relikte aus vergangenen Jahrhunderten. Gräber aus Walfängerzeiten, Tierknochen, alte Schiffsplanken. Wir wandern weiter in der Hoffnung , dass sie wohl auch in 50 Jahren noch dort wachsen oder unverändert liegen würden.
Immer begleitet uns aber auch die Sorge, dass dies nicht so sein wird. Dass, die vor allem an den Gletschern sichtbare unglaublich schnelle Klimaveränderung, diese über Jahrhunderte geltende Kontinuität nicht erhalten wird. Diese Erkenntnis war dann auch der einzige, aber große Wehrmutstropfen dieser Reise: hier oben erlebt man noch deutlicher als anderswo, wie schnell sich unsere Welt durch die Klimaverschiebung verändert. Und wie grenzenlos die globale Verschmutzung von Atmosphäre und unseren Meeren ist. Umso schmerzlicher ist angesichst der ergreifendenSchönhiet um uns herum die Erkenntnis, was für uns schon in absehbarer Zukunft unwiederbringlich verloren gehen wird.
Die unglaublichen Formationen der Berge waren vor allem zum Ende unserer Reise fantastisch. Bei jedem Tageslicht, jedem Sonnenstand sahen sie völlig anders aus. Es kribbelte mich des Öfteren in den Füßen, die Spitzen zu erklimmen, um Teil dieser Landschaft zu werden.
Doch auch das gehörte zu unserer Reise. Man konnte nicht einfach allein auf Streifzug gehen. Denn nie konnte man sich sicher sein, dass nicht ein Eisbär in der Nähe war. Die Anspannung beim Landgang, die Vorbereitung der Gewehre, das stets gemeinsame, dicht beieinander bleibende Wandern. Die Vorstellung, auf einen Eisbären zu treffen, kam mir oft genauso surreal vor, wie die Reise selbst. Ein ums andere Mal vergaßen wir sicherlich auch die Gefahr. Aber glücklicherweise hatten wir mit Nikolas und Peter nicht nur zwei super Skipper, sondern auch gewissenhafte, vorsichtige Aufpasser dabei, die ihre Crew immer im Auge behielten. Als es dann tatsächlich soweit war und wir unseren ersten Eisbären sahen, war ich sehr glücklich, ihn vom Schiff aus mit dem Fernglas ganz entspannt beobachten zu können. Dass wir wirklich auf zwei dieser wunderbaren Tiere stießen und sie lange an Land vorbeiziehen sehen konnten, war wie das Sahnetüpfelchen auf dem Sahnetüpfelchen einer köstlichen dicken Sahnetorte.
Meine Wohlfühlcrew
Ich fand die Entscheidung der Familie Kaupke, uns mitzunehmen, ziemlich mutig. Nach einmaligem Treffen aus dem Bauch heraus zu sagen, mit diesen Menschen zwei Wochen auf einem Schiff eingepfercht verbringen zu wollen, ist nicht jedermanns Sache. Doch ganz offensichtlich haben sie da einen guten Riecher. Unser Zusammenleben hat nämlich vollkommen unproblematisch funktioniert. Von Anfang an hatte ich das Gefühl, jeder suchte sich genau die Dinge, die er gut konnte und mochte und trug so sehr zum Gelingen der Reise bei.
Marianne mit ihrer Begeisterungsfähigkeit war als unsere Kamerafrau jeder Zeit zur Stelle, wenn etwas Spannendes oder Erinnerungswürdiges passierte. Außerdem wusch sie wie eine Weltmeisterin jedes Chaos, das Hauke in der Küche veranstaltete, ab und war immer vorne mit dabei, wenn es ums Durchs-Fernglas-nach-Eisbergen-und-Eisbären-Ausschau-halten ging.
Martina sorgte unermütlich dafür, dass die vielen Details der Natur und all die verschiedensten Situationen – selbst das Einfach-mal-die Füße-baumeln-lassen – für die Erinnerung in Fotos und Videos festzuhalten. Ihre Berichterstattung in der WhatsApp-Gruppe fasst unsere Reise perfekt zusammen. Nikolas manövrierte uns mit ruhiger Hand und scharfem Blick durch all die vielen Eisschollen gekonnt hindurch. Seine Fingerkuppen „opfernd“ und teils mit haarsträubenden, nervenaufreibenden Landeversuchen an Bord, sorgte er mit seiner Drohne für unfassbar tolle Aufnahmen aus der Luft.
Tomke war die Frau des morgendlichen Rühreis und der perfekt gekochten 4:30 Minuten Eier. Allzeit guter Laune und mit viel Elan zu allen Schandtaten bereit, brachte sie stets Schwung in die Gruppe. Ihre Ligretto-Spielkünste wurden von allen gefürchtet.
Hauke wiederum konnte sich als begnadeter und leidenschaftlicher Koch an Bord so richtig austoben. Es verging kein Tag ohne eine raffiniert zubereitete Speise, selbst aus den Resten zauberte er noch wahre Köstlichkeiten.
Und Peter, unser Skipper, navigierte und leitete uns hervorragend durch die zwei Wochen. Selbst ohne elektronische Seekarten im Norden von Spitzbergen lief alles vollkommen entspannt und sicher ab. Mit ruhigen, klaren Kommandos, guter Laune und immerwährender Begeisterung für die gemeinsame Reise und das Land und die Natur, hielt er uns als Crew super zusammen. Selbst wenn er nur eine halbe Stunde zum Schlafen hatte: wir sollten ihn unbedingt wecken, damit er auch ja die spannende Einfahrt in diesen und jenen Fjord nicht verpasste.
Ich fand es wirklich toll, wie schnell wir uns alle aufeinander einstellen und verlassen konnten!
Hauke und ich sind sehr dankbar, diese wundervolle Reise miterleben zu dürfen. Sie wird für uns unvergesslich bleiben und einen ganz besonderen Platz in unserer Erinnerung bekommen.
Kiel, Juli 2019
Hanna