AUFBRUCH ZUM TANZBODEN DES TEUFELS
AUFBRUCH ZUM TANZBODEN DES TEUFELS
56. Reisetag
Kurs Bjørnøya / Spitzbergen (77°00,1´N, 015°33,4´E)
AUFBRUCH ZUM TANZBODEN DES TEUFELS
Kurs Barentssee
Es ist Sonntag der 07. Juli 2019, 11:00 Uhr. In Tromsø herrscht strahlender Sonnenschein, wolkenloser Himmel, 23°C, T-Shirt Wetter. Das Hafenbecken liegt wie ein Spiegel da. Kein Lüftchen kräuselt das Wasser. Hochsommer im Norden … Wir holen die Leinen ein. Erst die Vorspring- und Heckleine, dann die Vorleinen, dampfen in die verbliebene Achterspring, bis der Bug sanft vom Steg wegdreht, nehmen schließlich auch diese Leine an Bord und haben abgelegt. Exakt um 11:10 Uhr nehmen wir Kurs auf Spitzbergen.
Unwirklich, dieses Wetter und wir sind auf dem Kurs in eines der gefährlichsten Seegebiete des Nordens. Im Seehandbuch finden sich Hinweise wie:
„even summer conditions are often accompanied by cloud, heavy fog, drizzle and poor visibility. Changes can happen quickly and with little warning at any time of the year. Keep always a sharp lookout for scattered ice floes and floating trees and fishing equipment.“
Das zu lesen macht Mut …
Seeklar für die Barentssee
Wir verstauen die schweren Fender sicher in der Achterpiek bzw. am Heck, checken noch einmal die Sicherungsleinen des Tenders (Beiboot). Natürlich haben wir zuvor die MAREVIDA seeklar gemacht. Das heißt: Alle Gegenstände an Bord sind so verstaut, dass sie auch bei kräftiger Schräglage oder harten Bewegungen in schwerem Seegang nicht zu lebensgefährlichen Wurfgeschossen unter Deck werden können oder kaputtgehen. Alle Luken sind verschlossen. Die starke Aluminiumtür zum Vorschiff wird geschlossen. Damit ist dieser Bereich des Schiffes im Falle eines Wassereinbruches im Bugbereich gesichert. Gefürchtet als Kollisionsrisiko ist bei Yachten vor allem schweres Treibgut. Sehr selten sind dies über Bord gefallene Container, häufiger an der Wasseroberfläche schlafende Wale, und – besonders unangenehm – große Baumstämme, die von der Russischen Küste aus zum Teil bis nach Grönland treiben. Im Verlauf ihrer oft jahrelangen Reise von den Flüssen Sibiriens entlang der russischen Nordmeerküsten bis in die Barentssee, sind sie so mit Wasser vollgesogen, dass sie knapp unter der Wasseroberfläche schwimmen und im Seegang kaum zu erkennen sind. Einigen von ihnen, die sog. »deadheads« schwimmen sogar senkrecht im Wasser. Wenn ein Schiff im Seegang mit dem Bugbereich auf einen solchen, tonnenschweren Stamm schlägt, können selbst größere Schiffe ernsthafte Probleme bekommen. Für Yachten bedeutet dies fast sicher den Verlust durch Untergang. Wir sind zu sechst an Bord, die Wacheinteilung erlaubt also immer zwei „Mann im Ausguck“. Je nach Tageszeit dauert eine Wache vier bzw. nachts zwei Stunden. Der Rest der Crew kann und sollte in der wachfreien Zeit schlafen und Kräfte sammeln. Das mit dem »Schlafen« ist bei 24 Stunden Tageslicht und der faszinierenden Landschaft sowie der später zu erwartenden sehr ruppigen See nicht ganz einfach. Muss aber!
Zunächst einmal haben wir noch vier bis fünf Stunden geschütztes Schärenwasser vor unserem Bug und genießen den sanften Aufbruch.
Der „Tanzboden des Teufels“
Unser erstes Ziel ist die Bäreninsel/Bjørnøya. Etwa auf halbem Weg von Tromsø nach Spitzbergen ragt diese unwirtliche Felseninsel mitten aus der Barentssee.
Die Durchschnittstemperatur im Juli beträgt 4,4° C. Durch ihre besondere Lage im Ausläufer des Golfstroms sowie bestimmter Wind- und Wetterverhältnisse sind die Fische der Süßwasserseen auf dem sumpfigen Hochplateau so mit Umweltgiften belastet, dass die Fische dort nicht verzehrt werden dürfen. Eine einsame unbewohnte Insel im Nordmeer und trotzdem ist die Natur voller Umweltgifte. Bjørnøya bietet keine geschützten Buchten und neben reichlich Wind ist sie im Sommer an mindestens der Hälfte aller der Tage in dichten, feuchtkalten Nebel gehüllt. Wir wollen trotzdem hin. Wenn das Wetter es erlaubt, so hoffen wir am Montag Abend nach 110 nautischen Meilen in einer Ankerbucht (Sørhamna) an der Südostküste der Insel anzulanden. Bei vorausgesagten Windgeschwindigkeiten von 28, in Böen 40 Knoten aus Ost (bis zu 8 Bft.) sowie angesagten Wellenhöhen von 4,5 Metern (mittlere Höhe), wird das aber wohl erst einmal ein ruppiger Ritt nach Norden. Zumindest in den ersten Stunden nach Verlassen des schützenden Schärengürtels dürfte die Barentssee ihrem Beinamen »Tanzboden des Teufels« alle Ehre machen. Bei dem notwendigen Amwindkurs dürften wir mit scheinbarem Wind von 40-Knoten in der Spitze rechnen. Noch erleben wir feinstes Fjordsegeln. Wie schnell das Wetter hier allerdings wechselt, haben wir aber natürlich in den vergangenen Wochen immer wieder erfahren. Die Norweger haben echt mehr Wetter an einem Tag als notwendig… Wir sind vorbereitet. Hoffen wir!
Nach unserem geplanten Ankerstopp wollen wir dann in der Nacht von Montag auf Dienstag an der Ostküste der Insel entlang nach Norden segeln, um dann an der Nordküste bei Herwigshamna zu ankern. Vorausgesetzt die Dünung an dieser offenen Küste erlaubt es. Wenn möglich möchten wir mit dem Tender anlanden und die dortige Wetter- und Radiostation (kein Rundfunk sondern Funkstation) besuchen. Sie besteht seit 1947 auf der Insel. Mit den dortigen Meteorologen haben wir im Vorwege Kontakt aufgenommen und hoffen auf spannende Geschichten von der einsamen Nebelinsel. Mit Eisbären müssen wir hier sehr wahrscheinlich noch nicht rechnen. Durch die Erderwärmung reichen die winterlichen Packeisfelder meist nicht mehr bis zur Insel. Der letzte tödliche Angriff eines Stationsmitarbeiters kam in den 1970ern vor.
Treibeis und kalbende Gletscher
Dienstag Nachmittag soll es dann mit Kurs auf den Hornsund an der Südwestspitze Spitzbergens ankerauf gehen. Nach ca. 500 Nautischen Meilen ab Tromsø hoffen wir am Mittwoch Morgen einen geschützten Ankerplatz zu finden. Vermutlich werden wir schon 100 nm südlicher – am Südkap Spitzbergens – den ersten kleinen Eisschollenfelder begegnen. Im Hornsund kommt dann zu den Drifteisfeldern aus aufgebrochenem Packeis verstärkt Eis von den kalbenden Gletschern hinzu. Auch dort sind wir bereits verabredet. Die Mitarbeiter der polnischen Forschungsstation in der Bucht Isbjørnhamna (kein Hafen, den gibt´s ausschließlich in der „Hauptstadt“ Svalbard) sind bereit, uns zu empfangen und über ihr Forschungsgebiet zu berichten: Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gletscher des Svarlbard Archipels. Nach einem Tag „Gletscherrunde“ durch den Fjord (er gilt als der schönste ganz Spitzbergens) möchten wir am Donnerstag Abend in Longyearbyen, der Hauptstadt Spitzbergen, festmachen. Wir hoffen, dass alles klappt und wir gesund, ohne Schäden an Mensch und Schiff und gut gelaunt nach fünf Tagen dann wieder richtig durchschlafen können.
Dann, aber auch erst dann und nur dort werden wir wieder ein Mobilnetz haben und uns mit einem Bericht, ob unser Plan aufgegangen ist, hier auf dem Blog melden können.
Ahoi