ABSCHIED UND AUFBRUCH
ABSCHIED UND AUFBRUCH
1. Reisetag
Kappeln – Middelfart, Insel Fyn, DK (55°30,47´N, 009°43,53´E)
ABSCHIED UND AUFBRUCH
Schon oft haben wir in der Vergangenheit die Leinen losgeworfen, um zu einer längeren Reise aufzubrechen. Und jedes Mal ist es begleitet von einer Gefühlsmischung aus Anspannung, Vorfreude, Sorge, Respekt und dem unglaublichen Potential von allem Unbekannten, das uns begegnen wird.
Einige uns wichtige Menschen sind zum Abschied an den Steg gekommen. Es ist 08.15 Uhr, diesig und grau, 8°C und es weht ein für Mai ungewöhnlich frischer Wind. Ein ausgiebiges Frühstück mit dampfendem Tee im warmen Esszimmer wäre auch nicht schlecht … Letzte Umarmungen, die Maschinen laufen, die letzte Leine wird losgeworfen, ein langer Gruß mit dem Schiffshorn, Abschied, und für uns der lange vorbereitete Aufbruch zum „Arctic-Circle“. Pünktlich um 08:45 öffnet für uns die Doppelklappbrücke in Kappeln und entlässt die MAREVIDA aus der Schlei in die letzten fünf Seemeilen zur Ostsee. Wir sind das einzige Schiff. Langsam gleiten wir am immer wieder schönen Hafenpanorama Kappelns vorbei und lassen die letzten Stege und kleinen Werftbetriebe an Backbord liegen. Ein einzelner Ruderzweier liegt auf unserem Kurs. Bei dieser Kälte! Ungläubig erkennen wir Hanna und Hauke, die uns später auf die Lofoten und rund Spitzbergen begleiten wollen und uns jetzt im Zweierskiff über eine Meile ein Geleit in den Reisestart geben. Auch hier wieder Grüße, Winken, gute Wünsche. Ich bin echt gerührt.
Segeln, Leben in bockender Schräglage
Vor Rabelsund setzen wir Groß-, Schonersegel und Fock und bei rauen 5 Bft. geht es in rauschender Fahrt die letzten Meilen bis Schleimünde. Wir lassen das bekannte grün-weiß gestreifte Leuchtfeuer hinter uns, binden bei inzwischen weiter auffrischendem Wind ein Reff im Grossegel und setzen den Kurs nach Norden. Der Leuchtturm blieb für uns schon oft achteraus. Für uns aber noch nie so lange, wie jetzt geplant und noch nie mit so aufregendem, respektverlangendem Ziel. Es bleibt grau, diesig und frisch. Der Wind dreht auf Nordwest und mit mächtig Lage (Schräglage eines Segelschiffes, wenn es im spitzen Winkel in die Richtung des Windes fährt) laufen wir in den kleinen Belt mit Kurs auf Middelfart. Mit 8-11 Knoten kommen wir flott voran und brauchen nur am Äro-Flach ein paar Kreuzschläge. Natürlich wissen wir, dass unterwegs sein unter Segeln, ein Leben in einer windbedingten, permanenten Schräglage bedeutet, die zudem wellenbedingt unvorhersehbare Bocksprünge macht. Kochen, Ankleiden, Toilettengänge, nur mal eben eine Kleinigkeit aus dem Schiffsinneren ins Cockpit holen, Seekartenarbeit und Logbuch führen – alles dauert sehr viel länger, wenn jeder Schritt bedacht werden muss und immer mindestens eine Hand zum Festhalten gebraucht wird. Es ist ein prima Gleichgewichts- und Muskeltraining, macht aber auch deutlich müde. Besonders zu Beginn einer Reise muss sich der Körper hieran erst gewöhnen. Und nicht alle bleiben wir heute von einer leichten Seekrankheit verschont. So ist jeder von uns froh, als wir zehn Stunden und 80 Seemeilen später in den alten Hafen in Middelfart einlaufen und um 18:20 längsseits an einem zünftig restaurierten, alten Segelarbeitsboot anlegen. Wir sind müde! Nach nur vier Stunden Schlaf in der vergangenen Nacht, den letzten Tagen intensivster Vorbereitung und einer Witterung, die uns wohl schon auf den Sommer in der Arktis vorbereiten möchte, ist die leichte Schläfrigkeit wohl verdient. Für den ersten Tag war der Törn nicht schlecht.
Was haben Hamburger und Skandinavier, was andere auch gern hätten?
Unsere Startcrew besteht aus fünf Hamburgern. Zufall. Aber auch ein Symbol für den Anlass unserer Reise: Die Suche danach, was uns Menschen glücklich, zuversichtlich und zukunftsfroh macht, aber auch nachdenklich und sorgenvoll.
Hamburg, der Heimathafen unseres Schoners (Zweimaster) MAREVIDA, gilt nach Schleswig-Holstein als das Bundesland mit den glücklichsten Menschen Deutschlands. Um zu verstehen, warum dem so ist, lohnt sich eine Reise in diese wunderschöne Stadt am Wasser. Ein gewisser Wohlstand mag eine Rolle spielen, entscheidend ist aber sicher die Grundstimmung der Menschen: entspannt, aufgeschlossen, zuversichtlich. Hamburg ist eine Stadt mit viel Grün, viel Wasser, viel Luft in der Bebauung. Verbringt man einen lauen Sommerabend am Elbstrand, so erlebt man einen weiteren wichtigen Grund für das Glücklichsein der Menschen: den Strom, der Überseefrachter und geschützte Natur zugleich bietet, der Gedanken Raum lässt, die Seele öffnet, nicht einengt, Weite und Ferne zulässt. Eine Stadt also, in die naturnahe Räume tief hineinreichen, die uns erden und entspannen. Selbst nach einem stressigen Tag.
Wo leben die glücklichsten Menschen der Welt? Mit unserem Ziel Norwegen und Spitzbergen steuern wir laut »World Happiness Report 2019 der Vereinten Nationen« das Land an, das auf dieser Liste Platz drei belegt. Auf Platz eins liegt Finnland, gefolgt von Dänemark. Neben Wohlstand, Bildung und stabilen sozialen Bindungen spielt auch für die Skandinavier der tiefe Bezug zur Natur eine der wichtigsten Rollen, um inneres, erfüllendes Glück zu leben.
Glück, Zufriedenheit und Zuversicht hängen scheinbar sehr deutlich von einer gesunden Natur ab.
„behind the curtain“
PLASTIKMÜLL IN DER SCHLEI
Fünf Tonnen Plastikmüll in der Schlei, jede Menge Verschleierung und keine Verantwortlichen!
Unsere Familie liebt die Schlei, diesen Fjord in Deutschlands Norden. Natur, Fischadler, kleine Dörfer, sanfte Hügel, blaue Ostsee. Doch auch diese vermeintliche Natur-Idylle und ihre Ruhe trügt:
Nur ein Beispiel: Mindestens seit 2015 bis 2018 wurde der Meeresarm der Ostsee mit einer unglaublichen Menge an geschreddertem Plastikmüll schwer belastet. Laut Recherchen des NDR handelte es sich um einen Umwelt-Skandal großen Ausmaßes für die Natur, ihre Tiere und für uns Menschen! In der Verantwortung sahen sich weder die Schleswiger Stadtwerke und ihre Biogasproduktion, noch die Firma ReFood, die abgelaufene Lebensmittel mitsamt ihrer Plastikverpackung geschreddert und als Bio-Abfall an die Schleswiger Stadtwerke verkauft hatten. Auf diesem Wege gelangten mehrere Tonnen feinst zermahlene Kunststoffpartikel in die Schlei, kontaminierten die Natur und gelangten darüber in die Nahrungskette von Tier und Mensch. Laut Aussage der UNB (Untere Naturschutzbehörde) handelte es sich um bis zu 5 Tonnen dieser leichtgewichtigen Teilchen!
Am 5. März 2019 berichtet der NDR, dass sich noch immer Plastik in der Schlei befände und kein Ende in Sicht sei. Dass sich das Verbrennen des kontaminierten Klärschlammes auf mehr als 2 Mio. Euro belaufen würde – und wer zahle diesen Preis? Die Schleswiger über künftige Abwassergebühren oder über ein Minus in der Stadtkasse. Weder ReFood, noch die Schleswiger Stadtwerke übernehmen die Verantwortung bzw. werden von der Umweltpolitik zur Verantwortung gezogen!
Hinter jeder Entscheidung steht ein Mensch, der sie trifft. Was wäre wohl, wenn Sie liebe Leser oder ich fünf Tonnen fein geschreddertes Plastik in die Umwelt brächten? Aber wir trennen ja den Hausmüll. Und natürlich wären für uns in Plastik verpackte Lebensmittel kein „Bio-Müll“ …
Mir stellt sich die simple Frage: Warum ist der Handel nicht verpflichtet, an Ort und Stelle des Müllanfalls, also z.B. in jedem einzelnen Supermarkt, so zu trennen, wie wir Bürger es sind? Also Biomüll in den Biokreislauf, Plastikmüll – und Papiermüll in die jeweils getrennte Müllverwertung. Dies wäre einfach nachprüfbar und hätte vermutlich schon aus Kostengründen den Effekt, dass im Handel ein Anreiz zum Einsparen von Verpackungsmüll entstünde.
Wir alle tragen Verantwortung für die Natur, die Basis unserer Existenz ist und die es gilt, für uns und unsere nachfolgenden Generationen zu erhalten. Jeder einzelne – egal in welcher Funktion – ob als Privatperson, als Unternehmer oder als Angestellter.
Hier geht es zu den korrespondierenden Beiträgen des NDR:
UMWELTSKANDAL SCHLEI:
Artikel aus: NDR 1 Welle Nord I Stand: 06.11.2018 14:40 Uhr
¨Überall am Schleiufer sind sie wieder zu sehen: kleinste Plastikteilchen
Artikel aus: NDR 1 Welle Nord Stand: 05.03.2019 06:00 Uhr
Kleinste Plastikteilchen in der Schlei (Fotorechte Schleswig-Holstein Magazin)