SPITZBERGEN VORAUS, SCHMELZENDE GLETSCHER UND SEGELN AUF DEM LAND

 

SPITZBERGEN VORAUS, SCHMELZENDE GLETSCHER UND SEGELN AUF DEM LAND

58. – 60. Reisetag

Spitzbergen, Hornsund (76°53,8´N, 015°18,8´E)

SPITZBERGEN VORAUS, SCHMELZENDE GLETSCHER UND SEGELN AUF DEM LAND

Spitzbergen  voraus

40sm südlich des wegen seiner weitläufigen Untiefen und Treibeisfelder gefürchteten Sørkaps von Spitzbergen laufen wir auf eine merkwürdige Wand zu. Blauer Himmel und vor uns eine ca. 300m hoch reichende, graue, undurchdringlich scheinende, über den gesamten Horizont reichende Wand. Nebel. Aber satt! Er verschluckt uns mit Sichtweiten von teilweise unter 20m (!). Mit höchster Konzentration und vor Anstrengung brennenden Augen versuchen eine Steuerbord- und eine Backbord-Wache irgendetwas zu erkennen. Einen Kreuzfahrer orten wir mit AIS und Radar, ebenso zwei russische Trawler in diesen fischreichen Gewässern, aber kleinere Growler, Baumstämme, einen ruhenden Pottwal? Vor allem das Eis macht uns Sorge.

Die Eiskarten zeigen für unsere Route zwar offenes Wasser, das heißt aber nicht, dass sich nicht ein paar veritable Schollen hierher verirren könnten. Wir haben Anfang Juli und der Osten Spitzbergens ist noch von dichtem Treibeis umhüllt und die Gletscher an den Küsten kalben beständig. Aber wir haben auch hierbei Glück. Nur guter Seemannschaft, seien wir ehrlich, ist das nicht zu verdanken. Auch wenn wir die Fahrt teilweise auf 2-3kn drosseln, wir haben eben auch Glück auf kein Hindernis zu treffen.

Hornsund und Eispremiere

20 Stunden nach Verlassen der Bäreninsel laufen wir, bei inzwischen nur noch diesiger Sicht in den Hornsund ein. Eine dramatischere Szenerie können wir uns zur Begrüßung nicht vorstellen. Rings um uns hohe, bis 1400m aufragende Berge und Gletscher. Und jetzt auch die ersten treibenden Gletschereisschollen und Growler. Immerhin bis 20m Länge und 10m Höhe zzgl.  90% Volumen unter Wasser. Wow. Vorsichtig umfahren wir in gebührendem Abstand diese ersten Zeugen unserer Nähe zum Nordpol. Bald sollten sie zur Normalität werden. Der Respekt und die Vorsicht blieben. Der Abstand zum Eis blieb nicht. Dazu waren wir viel zu fasziniert.

Gletscher, Fallböen und Segeln auf dem Land

Nach gut 24h unter Maschine werfen wir im Brepollen, dem Ostende des 15sm tiefen Hornsundes mit Blick auf den gigantischen Hornbreen Gletscher unseren Anker. Inzwischen scheint die Sonne, aber kräftige Fallböen von den umliegenden Berggipfeln beißen uns bitterkalt ins Gesicht und es braucht drei Anläufe bis der 70kg Manson im lockeren Gletschersedimentboden endlich hält. Dann sind wir da! 76° Nord, Spitzbergen! Müde. Nach Starkwind, ungemütlicher See, dichtem Nebel, aber auch und jetzt wieder, strahlender Sonne. Die fanden wir viel häufiger hier oben, als wir erwartet hatten. Durch die besondere Thermik der Gletscher ist in ihrer Nähe häufig herrlicher Sonnenschein, auch wenn es in nur wenigen Meilen Abstand grau und trübe vor sich hinwölkt. Heute also unsere ersten Eisschollen, die ersten arktischen Gletscher und keine Menschenseele außer uns. Wir sind glücklich! Mit surrealem Blick auf die kilometerbreite Gletscherwand heizen wir der Kombüse ein, bereiten uns ein Festmahl, erheben das Glas auf die Ankunft und legen uns kurz auf´s Ohr.

Spitzbergen schmilzt

Doch lange hält es keinen von uns in der Koje. Wir möchten dichter an die Abbruchkante des Gletschers. Ohne es vorher zu ahnen, erleben wir jetzt hautnah die Folgen des Klimawandels. Wir haben die neuste Navionics-Software auf dem Plotter und neueste Papierseekarten an Bord. Alle zeigen an, dass wir längst an Land fahren, doch das Echolot zeigt noch 40m Wasser unter dem Kiel. Bedrückend offensichtlich: allein seit 1983 hat sich der Gletscher um 6km zurückgezogen ! Spitzbergen schmilzt ! Die nautische Vermessung dieses Archipels hält ganz offensichtlich mit der Geschwindigkeit des Klimawandels nicht Schritt. Wir motoren uns vorsichtig fast 3 sm „über Land“ bis dicht an die Gletscherkante und haben immer noch 40m Wassertiefe unter dem Kiel. Noch vor 35 Jahren hätten wir hier 70m hoch auf dem Gletscher gesessen … Deutlicher kann man den Klimawandel nicht vor Augen geführt bekommen!

Stürzende Gletscher und Eis im Glas

Der Anblick ist atemraubend. Zu beiden Seiten der MAREVIDA erstreckt sich die kilometerlange ca. 70m steil aufragende Gletscherwand des Hornbreen. Die scharfen Schrunde strahlen durch die Sonne in allen Farben des Eises. Ab und zu brechen kleinere Eisbrocken heraus und stürzen krachend ins Meer. Um uns schwimmen zahlreiche kleine Schollen. Ein feines Knistern wie von schmelzenden Eiswürfeln im Gin umgibt uns. Wir sind sprachlos. Alle. Wieder mal. Über zwei Stunden driften wir in 4-5 Bootslängen Abstand vor dieser unwirklichen, archaischen Szenerie und nehmen sie mit allen Sinnen in uns auf. Wir können uns kaum losreißen. Plötzlich, gerade als wir auf Kurs nach Longyarbyen gehen wollen, bricht ohne jede Vorwarnung, direkt hinter unserem Heck eine 150m breite, riesige Gletscherwand ab und kippt, wie in Zeitlupe, mit explosionsartigem Knall ins Meer. Tausende Tonnen aus Eis lösen einen beeindruckenden Mini-Tsunami aus. Unser Schiff tanzt in der Welle, die aber schnell verebbt. Im Dinghi möchten wir allerdings solch eine Situation nicht gerne erleben. Zufällig haben wir das Ganze gefilmt und können es auch beim nachträglichen Ansehen kaum glauben. Welche Gewalten!

Flucht vor dem Treibeis

Eigentlich sind wir uns auch hier, im Hornsund, verabredet. Schon Monate vor Reisebeginn haben wir über die Universität in Danzig Kontakt mit der Polnischen Polarstation in Isbjørnhamna aufgenommen und um die Erlaubnis zu einem Besuch und Interview angefragt. Doch die Natur durchkreuzt unsere Pläne. Wir hatten die Bucht vor der Station um Mitternacht erreicht und planten gegen Morgen mit dem Tender überzusetzen. Doch gegen 4:00 Uhr ziehen sich so dichte Treibeisfelder an unserem Ankerplatz zusammen, dass ein Bleiben zu gefährlich wird. Wir müssen den Anker lichten bevor das Eis es unmöglich machen würde und den Besuch der Wissenschaftler auf den Rückweg verschieben. Hoffen wir. Die aus dem erneut aufgezogenen, dichtem Nebel unvorhersehbar auftauchenden Eisberge im fahlen Licht, schaffen eine geradezu surreale Stimmung. Vorsichtig tasten wir uns durch das Treibeisfeld aus dem Hornsund und nehmen Kurs auf den großen Isfjord und die Hauptstadt Longyearbyen 120sm voraus.

 

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